Porträt

Junge Designerin näht für die reife Frau

jeanette-portraitWo sie herkommt, ist das Flussbett des Rheins ganz schmal. In der Loreley stellt sich der gleichnamige Schieferfelsen dem Wasser in den Weg, unzählige Schiffe zerschellten schon an ihm, das letzte sank in dieser Gegend vor rund einem Jahr. Jeanette Schumacher kommt aus dem 400- Seelen-Dorf Reitzenhain, das der deutschen Verbandsgemeinde Loreley angehört. «Dort erzählt man sich die Legende der schönen Nixe Loreley», sagt Jeanette Schumacher. «Sie kämmte sich auf dem Felsen ihre langen goldenen Haare und zog die Kapitäne mit ihrem Gesang an. Verzaubert steuerten diese das Schiff gegen den Felsen und in den Tod.»

Keineswegs eng und schmal ist die Welt, in der sich Jeanette Schumacher heute bewegt. Im Gegenteil, sie scheint bunt, weit, grenzenlos. «Ich stehe mir höchstens selber im Weg», sagt sie und grinst. Die 30-Jährige trägt ein selbst genähtes Sommerkleid mit aufgemaltem Songtext der georgischen Sängerin Katie Melua. Die Legende der Nixe jedoch passt sehr gut in das Universum der jungen Designerin. In der Wohnung am Stockhornweg in Hünibach hängen überall Öl- und Acrylbilder mit fantasievollen Wesen, die sie selber gemalt hat. In ihrem Atelier tragen die Schaufensterpuppen Jeanettes Kleiderkreationen.

Nichts für graue Mäuse

Jeanette Schumacher reiste 2003 mit ihrem damaligen Freund in die Schweiz. Jahrelang arbeitete sie auf ihrem Job als Coiffeuse in Bern und Thun, tauschte die Schere aber schon immer lieber gegen Faden und Nadel. Sie habe bereits mit 13 begonnen, zu nähen, für ihre ersten Klamotten zerschnitt sie Mutters ausrangierte Cordhosen. Ihr erstes richtiges Stück jedoch ist eine knallrote Jacke aus Walkstoff. Sie hat sie heute noch – und ist auch dem Material treu geblieben. «Ich mag Filz, weil er so grob
und authentisch ist.» Jeanette Schumacher filzt teilweise selber, fabriziert die Jackenknöpfe eigenhändig, schreitet manchmal stundenlang um die Puppen herum, um das Verbesserungspotenzial zu eruieren. Mit indianischen Motiven, Fransen und teilweise asiatisch anmutenden Mustern macht sie die Filzjacken weicher, weiblicher. «Filz hat dieses Mäuschenimage. Dabei kann man ihn so vielseitig einsetzen.» Keine grauen Mäuse, sondern schillernde, selbstbewusste Frauen im besten Alter – als das will Jeanette Schumacher ihre Models sehen, wenn diese am 28. Juli am Fashionevent, der im Rahmen des Senioren Sommers stattfindet, ihre Kreationen über den Laufsteg führen.

Alte Zöpfe abschneiden

Bei ihrer Arbeit als Coiffeuse habe sie oft erlebt, dass ältere Frauen nicht gerne auffallen. «Ich hatte viele Kundinnen mit wunderschönem, dichtem Haar. Sie haben sich beinahe dafür geschämt, und ich nehme an, dass eifersüchtige Freundinnen ihnen geraten haben, diese abzuschneiden.» Mit ihrer Mode will die junge Designerin die älteren Frauen ermutigen, Farbe zu bekennen. Für die grosse Show von Ende Juli hat sie noch alle Hände voll zu tun. Acht Jacken näht sie für die Seniorinnen, sechs sind fast fertig. «Aber wenn mal die Idee da ist, geht das flott. Das Nähen ist nur noch logisches Denken.»

Jeanette Schumacher ist Autodidaktin. Lediglich einen Nähkurs hat sie besucht, den Rest lernt sie laufend mit jedem neuen Kleidungsstück. «Leider konnte ich mir bisher ein Designstudium nicht leisten», sagt sie. Da der Wunsch jedoch so gross war, hat sie es auf eigene Faust probiert. «Ich wurde sowohl im Malen wie im Nähen immer besser.»

Planet Janet

Ihr Geld verdient Jeanette Schumacher als Barkeeperin, sie arbeitet 100 Prozent und bis spät nachts. Zeit zum Nähen bleibt nicht viel. Von ihrer Leidenschaft leben können, ein eigenes Geschäft haben, die Malerei mit der Mode verbinden – das sind aber ihre grossen Träume. Und dafür muss sie sich vermarkten. Ein Name, ein Label, eine Website müssen her. Diese Pflichten wachsen der quirligen Künstlerin ein bisschen über den Kopf. An einem Label habe sie schon herumstudiert. «Jeanlumi» nennt sie sich momentan. «Planet Janet» war eine andere Option – eigentlich ein ganz passender Name für die fantasievolle, bunte Welt der elfenhaften Träumerin.

Simone Lippuner

Artikel Senioren Sommer, 24.06.13 (PDF)